Der Kangal - eine Rasse? 

Man geht davon aus, daß die Vorfahren der eurasischen Hirtenhunde und somit auch die des Kangals, mit den Nomadenbewegungen nach Kleinasien und Europa kamen. Wahrscheinlich gelangten die Urgroßväter des Kangals aus dem Iran / Irak u.a. auch in die Region von Sivas. Diese  Hunde waren natürlich noch keine Kangals, wahrscheinlich nicht einmal Herdenschutzhunde im klassischen Sinne. Man kann sie wohl mit den Nomadenhunden Afghanistans vergleichen, welche die Menschen mit ihren Karawanen begleiten, Hab und Gut schützten. Diese Hunde waren aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht so auf Nutztiere spezialisiert wie wir das in der heutigen Form der HSH kennen.

Werden Menschen sesshaft, geht dies in der Regel mit Ackerbau oder Viehzucht einher. Das Hochplateau von Sivas, welches sich als späteres Zentrum der Kangalzucht herausbildete, war eines dieser Zielgebiete der Ansiedlung. Die karge und trockene Landschaft läßt nicht viele Möglichkeiten offen, das Überleben zu organisieren. Schafzucht hat sich somit als der bedeutendste Faktor in dieser Region etabliert. Mit der Zeit begann man, auch die entsprechenden Hunde für diese Aufgaben zu züchten und über unzählige Generationen immer weiter zu optimieren. Entstanden sind starke, eigenständige, genügsame und robuste Hunde, die nur eine Aufgabe hatten, den Schutz der ihnen anvertrauten Herden.

Das Hochplateau von Sivas zeichnete sich über eine sehr lange Zeit durch eine isolierte Lage aus. Die schnellen und komfortablen Verkehrsverbindungen der heutigen Zeit gab es nicht. Bezogen auf die Hunde bedeutete dies, daß sich eine abgeschottete Population entwickeln konnte bzw. mußte. Es war praktisch nahezu ausgeschlossen, daß die dortigen Hunde mit fremden Vertretern in Berührung kamen.

Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt ist, daß die Transhumance, also das Wandern über Hunderte Kilometer zu den jeweiligen saisonalen Weidegründen, in Sivas niemals ein praktiziertes System darstellte. Insofern war auch hier kein Kontakt zu anderen Hundeschlägen möglich. Die Herden ziehen in der Vegetationszeit auf die Yaylas, im Winter sind sie in Stallungen untergebracht.

 

Esel und Kangals, unentbehrliche Helfer der Hirten

Besucht man die Region von Sivas, fällt auf, daß man dort eine sehr homogene Population an Hunden vorfindet. In den Dörfern findet man fast ausschließlich Hunde vom Kangaltyp. Bedenkt man, wie die Kangals in den Orten aufwachsen, wird man erkennen, daß keine Notwendigkeit bestand, sich mit anderen Rassen zu umgeben. Die Kangals decken das benötigte Spektrum ab. Sie schützen Herden und Dörfer und sind Spielgefährten der Kinder. Strassenhunde in Kangal sehen dementsprechend auch ziemlich einheitlich aus. Groß, beige und mit schwarzen Masken. Den klassischen „Dorfköter“, den 08/15 – Mix, findet man in den Siedlungen der Provinz Sivas so gut wie nicht. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, daß sich die Kangals in Rudeln frei in den Dörfern bewegen und auch in dieser Hinsicht das Leben für andere Hunde, welche noch dazu keine für den Menschen nützliche Funktion haben, unangenehm werden dürfte.

Kangal-Land - Land der offenen Weiten

Zieht man diese Umstände in Betracht, dann wäre es natürlich legitim, von einer Rasse zu reden. Die Kriterien hierzu sind erfüllt. Wir haben die sexuelle Isolation einer Gruppe innerhalb einer Art und wir haben eine durch den Menschen zielgerichtet durchgeführte Selektion über einen weitaus längeren Zeitraum als dies unsere modernen Rassen aufweisen können. Die harten Umwelt – und Lebensbedingungen trugen ebenfalls entscheidend dazu bei, die Rasse zu formen, es beteiligte sich also nicht nur der Mensch an der Selektion. Doch dazu an anderer Stelle mehr, wenn es um die Gesundheit des Kangals geht.

Was wir nicht haben sind Zuchtbücher und Pedigrees, wobei diese durchaus existieren, wenn auch nicht in schriftlicher Form. Die Verpaarungen und Stammbäume wurden und werden von Generation zu Generation weitergegeben.