Kangalzucht in Deutschland

Ein Thema, welches zu den traurigen Kapiteln gehört, wenn es um den Kangal geht. Kangalzucht findet in Deutschland praktisch nicht statt. Dies ist nur ein scheinbarer Widerspruch zu der Tatsache, daß diverse Internetplattformen, welche für den Verkauf von Hunden genutzt werden, eine unglaubliche Fülle an Kangal – Welpen beinhalten. Die Vermehrung der Hunde ist nämlich inzwischen völlig aus dem Ruder gelaufen. Sucht man unter den Inserenten seriöse Anbieter, oder gar Züchter, welche sich den Mindestanforderungen des VdH unterwerfen, wird das leider vergeblich sein, es gibt keine. Dafür bekommt man dann in mehr oder weniger blumigen Annoncen den idealen Hund für alles und jeden, den „reinen Kangal aus Sivas“, der noch nicht einmal neben einem solchen stand und jede Menge Nachkommen aus planlosen Gelegenheitswürfen, bei denen mal eben ein „Weibchen“ zum 90 cm – Rüden gesucht wird. Professionelle Hundehändller haben entdeckt, daß offenbar ein Markt für Kangals existiert und produzieren hemmungslos und ohne Plan gelbe Hunde. Das Geschäft scheint sich zu lohnen, auch wenn Welpen mitunter nur noch zu Dumpingpreisen von 400 € den Besitzer wechseln und jeder seriöse Züchter in’s Grübeln kommt, wie das gehen kann.

Nun, es kann gehen, es geht sogar sehr gut. Das Rezept dazu ist verblüffend einfach und rasseübergreifend erprobt. Man spart sich die ganzen übertriebenen VdH – Geschichten, wie Ausstellungen, Körungen, Zwingerabnahmen usw. und macht es in Eigenregie oder noch besser, man tritt der Dissidenz bei, so hat man für den Notfall ein paar, wenn auch wertlose Papiere. Man verzichtet auf HD – Untersuchungen, HD bekommt ja nur der Schäferhund, wie jeder weiß. Man kauft billig irgendwo ganze Würfe auf und verkauft diese dann weiter, unkritische und nicht aufgeklärte Welpeninteressenten machen’s möglich und einfach. Dem Wildwuchs sind Tür und Tor geöffnet und das Schlimmste daran ist, man hat so gut wie keine positiven Gegenbeispiele.

ein gewöhnlicher Mischling mit FCI-Papieren, als Sivas Kangal empfohlen und verkauft

Zucht definiert man in der Regel als eine Verbesserung oder zumindest den Erhalt einer Rasse. Wenn ich nun Kangalzucht betreiben will, sollte ich zunächst einmal wissen, was ich erhalten oder gar verbessern will. Will ich große gelbe und liebe Hunde züchten oder Herdenschutzhunde, die auch in der Lage sind, eine Herde zu schützen, sofern sie es denn dürften?

Die Rasse Kangal ist eine Arbeitsrasse, entstanden durch Selektion unter harten natürlichen Bedingungen und den Kriterien der Arbeitsfähhigkeit an der Herde. Nur dadurch konnten die Hunde die Eigenschaften und das Exterrieur entwickeln, das Liebhaber an ihnen schätzen. Die Hirten in Anatolien verpaarten stets die am besten zur Arbeit geeigneten Tiere, was sozusagen allmählich zu einer Art Elite führte und eine robuste, wesensfeste und starke Rasse entstehen ließ. Tiere, die zur Verpaarung gelangten, mußten sich vorher an der Herde bewähren, bei der Abwehr von Raubtieren erfolgreich sein und nicht zuletzt die unsagbar harten klimatischen Bedingungen ohne jegliche medizinische Verorgung und einer Ernährung auf Sparflamme, wenn man es mit unserer hiesigen Haltung vergleicht, überstehen. So war über hunderte von Jahren sichergestellt, daß nur die stärksten, gesündesten und wesensfestesten Hunde ihre Gene in den Pool einbringen konnten. Schaut man sich die Kangals in anatolischen Dörfern an, kann man sich nur schwer der Faszination entziehen, welche diese instinktsicheren und imposanten Hunde ausstrahlen. Erlebt man sie dann an der Herde in den Weiten der Steppe, kann man nur noch Bewunderung verspüren.

Nun haben die Kangalzüchter bei uns in den seltensten Fällen eine Herde, Raubtiere schon gar nicht und oft noch nicht einmal eine Auswahl an in Frage kommenden Zuchttieren. Wie stellt man es also an? Eigentlich ganz einfach:

„Halter A“ hat eine Hündin, von der er vielleicht die Vorfahren weiß, meist ist das nicht der Fall und sucht dazu den „passenden Rüden“. Welcher Rüde ist passend? Wonach wählt man aus? Wer prüft Arbeitsfähiglkeit der Elterntiere? Wonach selektiert man überhaupt? Kann ich ernsthaft von Zucht einer Arbeitsrasse reden, wenn ich den Hunden über Generationen keine Möglichkeit zur Arbeit gebe? All diese Fragen könnte und sollte man sich stellen, muß man aber nicht. Ein Blick in’s Internet oder eben Mundpropaganda bringen die Lösung. „Halter B“ hat einen tollen Rüden, 87 cm Schulterhöhe, 75 kg Kampfgewicht und dieser ist natürlich „rein“ und aus Sivas, wie wohl 80 Prozent der hier vorhandenen gelben Hunde, die keine reinen Kangals darstellen. Mehr braucht man vom künftigen Papa nicht zu wissen und die Hochzeit wird arrangiert. Die Welpen wechseln dann auch in der Regel relativ unkompliziert den Besitzer und der Grundstock zur weiteren Vermehrung ist gelegt. Klar, daß es abolut nicht notwendig ist, irgendwelche HD – Untersuchungen durchzuführen, macht man in Sivas ja auch nicht. „Halter A“ und „Halter B“ teilen sich die Welpen und den Gewinn. Anschließend steht dem Urlaub am Schwarzen Meer nichts mehr im Wege.

"Sivas-Kangal" aus deutscher Vermehrung

Dann haben wir noch „Halter C“, der sich schon professioneller gibt. Er hat ca. 20 Zuchtpaare und ständig Welpen im Angebot. Die Unmenge an Hunden erlaubt es, auch mal ein paar Krisenzeiten zu überbrücken, Rabattaktionen zu machen und so auch unter schwierigen Marktbedingungen im Geschäft zu bleiben. Käufer, die sich beim Kauf einer Waschmaschine mehr informieren als über die Auswahl ihres zukünftigen Begleiters und Gefährten der Kinder, sorgen dafür, daß „Halter C“ wohl auch noch in einigen Jahren prima von seiner Produktion leben kann. „Halter C“ ist sogar Mitglied in einem Rassezuchtverein, der zwar nicht dem VdH angeschlossen ist, denn der gibt sich pingelig bezüglich der Anzahl der Würfe pro Hündin, macht Zwingerkontrollen, Wurfabnahmen und hat eigentlich nur Schikanen im Repertoire, die man nicht wirklich braucht. So kann man durchaus auch Papiere bekommen, diese sind zwar nichts wert aber manche Leute beruhigt es. Sogar HD – Nachweise sind drin, wenn man es denn ausdrücklich fordert und natürlich extra bezahlt. Allerdings bekommt man auch hier keineswegs das, was man sich unter korrekt gezüchteten Arbeitshunden vorstellt, aber man kann seinen gelben Hund problemlos gleich mit nach Hause nehmen und alle sind glücklich. Fragen über Herkunft der Eltern werden praktischerweise seitens der euphorischen Welpenabnehmer in den seltensten Fällen gestellt, also ist „Halter C“ da auch in dieser Hinsicht sehr flexibel und es kann schon mal passieren, daß enge Linienzucht stattfindet, ist ja auch nicht weiter schlimm, wenn man weiß, was man macht. Wenn ...

Es ist nicht notwendig, daß alle Hunde eines Wurfes an eine Herde müssen, es genügt, wenn ein oder zwei der Welpen eine Arbeitsmöglichkeit bekommen und somit nachweisen, daß man die Linie noch den Herdenschutzhunden zuordnen kann. Es gibt Möglichkeiten, Hunde an Herden unterzubringen, wenn man sich nicht nur in Deutschland orientiert und selbst hier ist es mitunter machbar. Aber es ist schon sehr kühn, von Herdenschutzhunden zu reden, wenn ich Hunde habe, die über Generationen kein Schaf mehr gesehen haben und die nach allen anderen Kriterien selektiert wurden, außer denen, welche die Rasse geformt haben. Verbesserung kann man hier wohl kaum sagen, Verwässerung trifft es hingegen ziemlich genau.

Man könnte ja nun argumentieren, daß sich alle Rassen entwickeln, man hier eigentlich keine Hunde braucht, die Herden schützen können und man besser den familien – und alltagstauglichen Schmuser im deutschen Vorgarten platziert. Diese scheinbar logische Schlussfolgerung hat nur einige Haken. Die Hunde behalten trotz stümperhafter Selektion viele ihrer typischen Eigenschaften, die sie alles andere als leichtführige Familienhunde werden lassen. Sie sind nicht geeignet  für Hinz und Kunz, auch wenn Hinz und Kunz problemlos die Hunde kaufen können. Somit werden Unmengen gelber Hunde produziert, die man nicht wirklich braucht. Arbeiten können sie in vielen Fällen nicht mehr und der ideale Familienhund ist auch eher Fehlanzeige. Die Hunde müssen nicht mehr in der Steppe funktionieren, brauchen kaum noch Leistung zu bringen. Im Gegenzug sollen sie aber schön aussehen und Eindruck machen. Dem Hang zum Gigantismus wird Tür und Tor geöffnet und es entstehen Kreationen, die an anatolischen Herden keinen Stich sehen würden. Damit verbunden natürlich Gelenkprobleme, was durch fehlende HD – Untersuchungen der Verpaarungen noch zusätzlich forciert wird.

„Augen auf beim Kangalkauf!“
Fallen Sie nicht auf haltlose Versprechungen und bunte Bildchen herein und scheuen Sie sich nicht, uns zu kontaktieren, wenn es um die Anschaffung Ihres neuen Begleiters geht. Es ist eine Entscheidung, welche Sie für viele Jahre treffen und es soll möglichst eine harmonische Beziehung für beide Seiten werden. Unterstützen Sie keine Massenzuchten und planlosen Vermehrungen, die nicht einmal den Mindeststandard einer Zucht erfüllen. Ersparen Sie sich und den Hunden unnötiges Leid. Im Zweifelsfall sitzt ein Hund aus ebendiesen Quellen im nahegelegenen Tierheim und versteht die Welt nicht mehr. Er kann nichts für seinen Produzenten und hat ein möglichst gutes Leben verdient, auch wenn bei seiner Geburt nie ein solches im Fokus stand, sondern gedankenloses Vermehren oder einfach nur Geld.

Eine gute Frage an den Züchter der Wahl ist immer die, warum gerade diese Verpaarung gewählt wurde und was er damit erreichen will. Man wird erstaunt sein, was man als Antwort erhält.