Was bedeutet das nun bezüglich der Haltung in Deutschland? 

Schaut man sich den Ursprung und die Verwendung der Hunde an, wird man zweifellos erkennen, daß es zur bei uns gewünschten Haltung und Erziehung, dem Zusammenleben zwischen Hund und Mensch , Hund und Hund und nicht zuletzt bei den Anforderungen, welche ein Hund bei uns haben sollte bzw. haben muß, gewisse Diskrepanzen gibt. Wir sagen an dieser Stelle offen und ehrlich, daß es weitaus geeignetere Rassen für unsere Gefilde gibt. Warum?

Hunde haben in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert, andere Funktionen, viel größere Beschränkungen. An sie sind völlig andere Erwartungen geknüpft als das in ihrer ursprünglichen Heimat der Fall ist. Hunde haben sich in unserem Umfeld in erster Linie anzupassen, sollten nicht übermäßig auffallen, man möchte sie so gut wie möglich erziehen, evtl. auch einen Sport mit ihnen ausüben und Hunde sind zu Begleitern in vielen Lebenslagen und – situationen geworden, was sie, Dank ihrer Anpassungsfähigkeit, auch mehr oder weniger gut meistern. Der ideale Hund im Deutschland der Hundeverordnungen hat eine Schulterhöhe unter 45 cm, bellt nicht, haart nicht, hört auf’s Wort, verträgt sich mit allem und jeden, ist everybodys darling.

All das kann der Kangal nur unzureichend bieten, insofern sind diverse Konflikte vorprogrammiert und der Hundehalter wird sich einigen Herausforderungen zu stellen haben, die nicht selten leider auch dazu führen, daß der anfangs blauäugig angeschaffte Knuddelbär im Tierheim landet. Unehrlichkeit einiger Züchter, mangelnde Aufklärung der Welpenkäufer tun ein Übriges, doch dazu an anderer Stelle mehr.

Ein Kangal bringt naturgemäß einen geringen Willen zur Unterordnung mit. Das führt dazu, daß man einen erheblichen Mehraufwand an Erziehungsarbeit haben wird, als man das von anderen Rassen gewohnt ist. Hundebücher, Hundeschulen, gängige Methoden versagen oftmals völlig und nicht selten landet man in einer Sackgasse. Kommandos werden verzögert ausgeführt, manchmal auch hinterfragt oder eben ignoriert, wie man das auch von anderen HSH – Rassen kennt.

c. by J. Rosenkranz

Kangals sind seit Ewigkeiten darauf selektiert worden Einschätzungen und die daraus resultierenden Reaktionen selbst zu treffen und auszuführen. Insofern sind sie sehr entscheidungsfreudig und gerade wenn es darum geht, ihre ureigenste Bestimmung, den Schutz und die Verteidigung des Reviers, welches durchaus auch eine Hundewiese sein kann, wahrzunehmen, fragen sie nicht immer vorher nach, ob’s denn auch recht ist. Sie meinen eine Gefahr zu erkennen und handeln promt. Dieses Verhalten wird von ihnen an einer anatolischen Herde erwartet, bei uns kann das mitunter eine Katastrophe bedeuten. Ein sicheres Abrufen in allen Situationen wird ein Wunschtraum bleiben.

Kangals legen eine Artgenossenaggression beonders auch gegenüber gleichgeschlechtlichen Hunden an den Tag. Herdenschutz ohne Aggressionspotential ist unmöglich. Wölfe und andere Raubtiere kann ich nicht mit Leckerlies oder einer Friedenspfeife überzeugen. Die Hunde müssen klare Grenzen setzen und tun dies in der Regel auch. Überträgt man dieses Verhaltensmuster auf den täglichen Spaziergang, sollte man sich bewusst sein das es zu sehr unangenehmen Begegnungen mit anderen Hundehaltern führen kann.

Die meisten Kangals haben eine gehörige Portion Jagdtrieb. Die unsinnige Behauptung, das HSH nicht jagen dürfen, hält sich hartnäckig, sicher auch nicht zuletzt deswegen,weil ein Experte vom anderen abschreibt. In ihrer Heimat sind die Hunde teilweise Selbstversorger oder zumindest sehr oft auf ein „Zubrot“ zur kargen Nahrung angewiesen. In Anatolien leben erfolgreiche Jäger demzufolge besser, bei uns unter Umständen nicht allzu lange.

Mit Einbruch der Dämmerung werden Kangals oft aktiver. Klappern gehört zum Handwerk und das Klappern bedeutet beim HSH Bellen. Wenn man sich vor Augen führt, daß der größte Teil des Herdenschutzkonzeptes auf Abschreckung basiert, wird man verstehen, warum die Hunde versuchen, im Vorfeld klare Fronten zu schaffen. Dies passiert eben durch Imponiergehabe und lautstarkes Anzeigen der Präsenz und ihrer Entschlossenheit. Sinnvoll in der anatolischen Steppe, der Nachbar im deutschen Dörfchen wird da eventuell weniger Verständnis zeigen.

Hundesport in jedweder Fasson kann man sich mit diesen Hunden aus dem Kopf schlagen. Man wird keine Freude daran haben, da es dem Hund keine Freunde macht und er sich dementsprechend unkooperativ verhalten wird.

Weniger Probleme wird man hingegen im Umgang mit Menschen haben. Innerhalb der Familie ist der Kangal ein ausgesprochen loyaler Hund. Er ist sehr sensibel, braucht Sozialkontakt und Bindung. Keinesfalls sollte man in ihm einen geeigneten Hund zur Objektbewachung sehen oder ihn in den Garten abschieben, das geht schief. Zahllose sogenannte „Schrottplatzhunde“ haben gezeigt, daß ein Kangal sehr bald das Schützen des Territoriums aufgibt, wenn er den sozialen Bezug vermisst. Im Idealfall sollte das der Mensch sein, manchmal sind es die Schafe, verbunden mit seinen Rudelkollegen, aber Eisenteile oder Autowracks werden diesen Part nicht ausfüllen können. Insofern hat man dann einen Hund, der sich über jeden Menschen freut, von dem er sich einen Ausweg aus seiner sozialen Isolation verspricht. Nicht selten landen solche „Wachhunde“ dann im Tierheim, die Besitzer sind der Ansicht, daß die Hunde versagten. Sie haben ihr Wesen nicht verstanden.