Der Kangal - Mix
„Pascha, Kangal – Mix, sucht neues Zuhause. In HSH – erfahrene Hände abzugeben. Der Kangal ist ein Hund, der in seiner Heimat selbständig Schafherden vor Wölfen beschützt, ...“
So oder ähnlich lauten sehr viele Anzeigen und Vermittlungstexte deutscher Tierheime und Tierschutzorganisationen. Eine riesige Zahl von Kangals und Kangal – Mixen geistert durch Deutschland. Schaut man sich dann die dazugehörigen Hunde an, kommt man in’s Grübeln, wie vielfältig eine Rasse doch aussehen kann. Wie kommt das und was ist dran am „Kangal – Mix“?
Hauptkriterium für diese Rassezuordnung scheint zu sein, daß die Hunde oder deren Vorfahren mal irgendwann aus der Türkei kamen. Ist dieser Umstand erfüllt, werden sie bei uns so ziemlich automatisch zum Kangal, wenn sie beige sind, eine mehr oder weniger ausgeprägte schwarze Maske haben und etwas größer als ein DSH ausfallen. Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, dann gibt es den „Kangal – Mix“ zu denen die Hunde dann in der Regel werden. Das suggeriert eigentlich, daß es in der Türkei nur eine Hunderasse gibt, nämlich den Kangal. Weiterhin scheint man davon auszugehen, daß man es prinzipiell nur mit Herdenschutzhunden zu tun haben kann, denn der Kangal ist ja einer, wie man weiß. Wer etwas tiefer forscht, beliest sich und erfährt, daß es neben dem Kangal noch den Akbash gibt und dann soll da noch eine Rasse sein, die man Karshund nennt, aber da wird man schon vorsichtiger. Allesamt Herdenschutzhunde. Akbash reinweiß, Karshund weiß man nicht so recht, also nimmt man den „Kangal – Mix“ und ordnet die diversen bunten Mischungen einer Rasse zu, die ursprünglich nur in einem sehr begrenzten und abgeschotteten Gebiet Anatoliens zu finden war und dort auch noch bei den Schafen arbeitet.
Es ist allerdings keineswegs so, daß man an den anatolischen Herden entweder Kangals, Akbash oder eventuell Karshunde vorfindet, sondern es gibt jede Menge Rassen bzw. regionale Schläge und Mischungen, welche man schon immer in den einzelnen Regionen bevorzugte und züchtete. Der Kangal macht somit einen kleinen Prozentsatz der Hirtenhunde Anatoliens aus. Die meisten Hunde haben keine Rassebezeichnung, sind die coban köpegi, die Hunde des Hirten. Manche wurden nach ihrem Aussehen benannt (Karabash, Akbash, Karayaka), ohne zwingend eine Rasse darstellen zu müssen. Auch wurde längst nicht überall auf eine Reinzucht Wert gelegt, wie man das eben in der Sivas – Region tat und wo dies auch durch die geographisch isolierte Lage begünstigt bzw. auch nicht anders möglich war.
Nun gibt es aber in der Türkei noch andere Hunderassen und - gruppen. Wir haben Windhunde, Pointerarten, Mastiffs und jede Menge an Rassen, die auch bei uns populär sind, wie Rottweiler, Schäferhunde, Pitbulls, Retriever usw. Und wir haben natürlich auch jede Menge diverser Mixe aus all diesen aufgeführten Hunden. Wir haben große Populationen an Straßenhunden, welche sich über Generationen untereinander fortpflanzten und deren Gene ständig durch Nachschub aller möglichen Rassen und Mixe aufgefrischt werden. Und gerade letztere sind es, die, meist über türkische Tierheime oder deutsche Organisationen, den Weg in unsere Tierschutzeinrichtungen finden. Dort bekommen sie dann in der Regel automatisch den Status des „Kangal – Verwandten“ und sind selbtstredend alles HSH oder neudeutsch „Herdi’s“. Das in so gut wie keinem der Fälle jemals ein Kangal Pate stand, geschweige denn mitgemischt hat, hindert nicht daran, die Hunde mit diesem ganz selbstverständlich in Verbindung zu bringen.
- Strassenhunde in der Türkei
Man könnte nun argumentieren, daß es für die Hunde, deren Vermittlung usw. doch völlig zweitrangig ist, wie man sie letztendlich nennt, auf den ersten Blick scheint das auch so. Bei genauerer Betrachtungsweise wird man erkennen und zugeben, daß bestimmte Rassen auch bestimmte Eigenschaften haben. Eigenschaften, die selektions – und funktionsbestimmt in den Genen manifestiert wurden und die u.a. auch das Wesen eines Hundes ausmachen. Eigenschaften, welche wichtig sind, wenn wir den Hund erziehen, in unser Umfeld integrieren, ausbilden wollen. Ein Mix, bei dem ein Jagdhund, ein DSH, ein Bullterrier beteiligt war, wird u.U. andere Eigenschaften ausbilden als ein Mix zweier HSH – Rassen. Strassenhundepopulationen bilden in der Regel über einen längeren Zeitraum eigene spezifische Eigenschaften aus, die für das Überleben notwendig sind.
Der frischgebackene Halter des „Kangal – Mixes“ geht also felsenfest davon aus, einen HSH – Mischling an der Leine zu haben, ja sogar ein Kangal soll’s gewesen sein, der hier einen Fehltritt hatte. Man stöbert im Netz und in HSH – Büchern nach den Eigenschaften und verfällt zunehmend in Panik, denn all das, was da so steht, ist so gar nicht das, was man mit einem stressfreien Zusammenleben mit einem Hund landläufig verbindet. Das andere Extrem ist derjenige Halter, der mit der Erziehung überfordert, mal schnell alles den „HSH – Eigenschaften“ zuordnet. Der Hund kann ja gar nicht anders, das liegt in den Genen des Kangals.
Davon weiß der vermutliche Straßenhund natürlich nichts und eigentlich ist er eher ein ganz normaler Mischling, der vielleicht ein wenig mehr Territorialinstinkt hat als man das von den unseren gewohnt ist, etwas größer ausfällt, da die beteiligten Erzeuger vielleicht ein Anatolischer Mastiff oder einer der zahllosen Hirtenhundschläge oder, viel wahrscheinlicher, ebenfalls Straßenhunde waren. Nicht zuletzt wird seitens der Tierheime auch nicht selten die Hürde zur Vermittlung eines solchen vermeintlichen Kangal – Mixes sehr hoch angesetzt, was nicht wenigen Hunden einige Chancen verwehrt.
- Jutta mit Strassenhund
Man kann nicht ausschließen, daß man einen Hirtenhund in der Vorfahrenreihe des Mixes hat, es ist sogar recht wahrscheinlich, daß irgendwann mal einer beteilgt war. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß dieser Hund ein Kangal war.
Letztendlich bedeutet das für die Kriterien der Vermittlung und Aufnahme solcher Hunde, jedes Tier als Individuum zu betrachten, dessen Wesen mitnichten nur durch vermeintlich enthaltene Gene bestimmt wird, sondern welches durch eine Vielzahl von Einflüssen geformt wurde. Es ist bekannt, daß türkische Straßenhunde durchaus recht territorial veranlagt sein können, es ist bekannt, daß Windhunde ihren „eigenen Kopf“ haben, der Anatolische Mastiff aggressiv auf Artgenossen reagiert usw. Der typische als „Kangal – Mix“ gehandelte Vertreter kann all diese Eigenschaften haben oder auch nicht eine davon. Wichtig ist es, seinen Hund zu beobachten und ihn lesen zu lernen. Hundeerziehung ist immer eine sehr individuelle Geschichte. Das ist sie innerhalb einer Rasse und das ist sie insbesondere bei einem Mix, von dem ich weder die Vorfahren, noch dessen Geschichte kenne.
Zweiter Punkt wäre das Empfinden und die Wahrnehmung der Türken, wenn sie täglich sehen, daß ihr Nationalhund mit allen möglichen Mischungen in einen Topf geworfen wird und wenn dann daraus geschlossen wird, wie „der Kangal ist“. Das wäre in etwa dem gleichzusetzen, wenn in einem türkischen Tierheim ein Mischling aus Retriever und Husky landen würde und man den dann ganz selbstverständlich als DSH – Mix führen würde, natürlich verbunden mit dessen typischen Eigenschaften.
Nun gibt es sie aber auch im deutschen Tierheim – die Hunde, die durchaus eine recht homogene Erscheinung aufweisen, beige, schwarze Maske, groß, territorial. Bei ihnen wird man nicht in die Versuchung kommen und vom „Kangal – Mix“ reden. Da sieht jeder, daß es reine Kangals sein müssen. Sind sie das wirklich? Dieser Frage gehen wir im nächsten Abschnitt nach.
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